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Die Königsübung - Eine Übung für Alles??

Kräftigung der Bein- und Rumpfmuskulatur, Verbesserte Mobilität, Globaler Muskelzuwachs, reduziertes Verletzungsrisiko,... und das alles in einem. Die Rede ist von…


Die Kniebeuge (engl. Squat) ist eine der Grundbewegungsmuster des menschlichen Lebens. Jedes Kleinkind beherrscht sie intuitiv und führt sie regelmäßig aus, bevor wir es mit der Schule langsam wieder vergessen. Die tiefe Hocke ist die natürliche Form des Stuhlgangs (bevor das zu unkultiviert wurde, und wir goldene Toilettenstühle brauchten um ewig darauf zu sitzen), unsere Vorfahren gingen in die tiefe Hocke um Fährten zu inspizieren, zu essen… und heute? Viellicht müssen wir keine Fährten lesen, nicht mehr im Wald unser Geschäft verrichten oder uns überhaupt noch bewegen, wo es doch so angenehme Stühle gibt. Fakt bleibt: Die Kniebeuge ist eine der natürlichsten Bewegungen des Menschen.

Im Krafttraining gehört sie zu den Grundbewegungen. Dazu gehören neben der Kniebeuge (Squat/kniedominante Unterkörperbewegung)

  • Hinge/hüftdominante Unterkörperbewegungen (Kreuzheben, Good-Mornings, etc.)

  • Push/Drücken nach vertikal (bzw. Überkopf, wie beim Schulterdrücken)

  • Push/Drücken nach horizontal (bzw etw. von sich wegschieben, Bsp: Bankdrücken, Liegestütz)

  • Pull/Ziehen nach Vertikal (also sich hochziehen, Bsp: Klimmzug)

  • Pull/Ziehn nach Horizontal (etwas zum eigenen Körper herziehen, Bsp. Rudern)

  • Carry/Tragen

  • Rotation (z. Bsp. bei Würfen)

Manche Literatur führt darüber hinaus den Ausfallschritt/Lunge als 9 Grundbewegung an. Zu gegebener Zeit, sollen auf diese Grundbewegungen hier noch genauer erläutert werden. Bleiben wir zunächst aber beim Squat. Nachdem wir jetzt schon erfahren haben dass die Bewegung ein evolutionäres Bewegungsmuster ist, das tief in unserer Intuition abgespeichert ist (ich erinnere nochmal an das kleine Kind oben und seine schöne tiefe Hocke), schauen wir im Anschluss darauf warum die Kniebeuge in jeden Trainingsplan gehört, welchen Einfluss sie auf Muskulatur und Gelenke hat, die Sprungkraft und Fettverbrennung und schließen mit einem Blick auf den „Lehrbuchsquat“ ab. Los geht’s:


1. Muskelaufbau


Kniebeugen sind eine Ganzkörperübung, und allein deswegen schon ein unerlässlicher Bestandteil für jedes Krafttraining um eine globale Kraftsteigerung zu erzielen.

Die Hauptbelastung liegen beim Squat auf dem Quadriceps (Vorderschenkeloberseite), der die Streckung der Knie bewirkt und dem lumbalen Errector Spinae (unterer Rückenstrecker), der den Rücken gegen die Schwerkraft aufrecht hält.

Unter Elektromyografie zeigte sich der Rectus Femoris (Muskulatur des vorderen Oberschenkels) eine konstante Steigerung in seiner Aktivität, sowohl bei leichter als auch schwerer Belastung („the rectus femoris showed regular increases in activation with increasing load from 30% to 40%, 40%–70%, and 70%–100% of 1-RM“). Für den Gluteus maximus (Gesäßmuskulatur) wurde Verbesserung nur bei hohem Trainingsreiz, genauer zwischen 60%–80% des maximal RM (=One-repetition-maximus/Einwiederholungsmaximum) gefunden. (Quelle: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0217044#sec007)

Neben dem Oberschenkel spielt die Rücken und Bauchmuskulatur eine entscheidende Rolle. So ist die Aktivität des Rückenstreckers bei Kniebeugen um ein Vielfaches höher als bei der klassischen Plank und vergleichbar mit der Superman-Übung. Kniebeugen sind damit auch ein wunderbares Werkzeug für alle Rückenschmerzpatienten, deren Rückenmuskulatur zu schwach ist.


Dynamic exercises such as the back squat (BS) and deadlift when performed at 80% of 1-repetition maximum have been shown to generate greater trunk muscle activity (RA and ES) compared to isometric”, https://journals.lww.com/nsca-jscr/Fulltext/2011/01000/An_Electromyographical_Comparison_of_Trunk_Muscle.22.aspx exercises.)

Vergleicht man die übrige Bauchmuskulatur (Gerade und schräge) finden sich nach van den Tillar et al keine signifikanten Unterschiede der Bauchmuskelaktivität im Vergleich Kniebeuge zu Plank („squatting resulted in greater erector spine activation, but similar rectus abdominis and oblique external activation as the prone bridge“, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6006542/)


Je höher die Wiederholungszahl, desto höher die muskuläre Aktivität. Generell gilt: der schwächste Muskel wird am meisten trainiert. Für den einen ist die Kniebeuge daher eine Beinübung, für den anderen eher ein Rückentraining. Starke Muskulatur führt zu einer besseren Stabilisation der Wirbelsäule und des Knies und beugt dadurch Verletzungen vor.

Was für eine Hammer-Übung also: Beine, Po, Rücken, Bauch. Das alles in einer Übung, die darüber hinaus eine alltagsrelevante Bewegung darstellt (Aufstehen vom Stuhl, in die Knie gehen zum Heben, etc.) Und wie oft finden wir uns im Alltag in einem Unterarmstütz wieder??

Aber schauen wir weiter:


2. Beweglichkeit


Kniebeugen die bis zum tiefsten Punkt ausgeführt werden, bewirken einen maximalen Bewegungsausschlag in sämtlichen Gelenken der unteren Extremität. Und das sind bis zu 130° Beugung in der Hüfte, nochmal 130° Beugung in den Knien und 20-30° Bewegung im Oberen Sprunggelenk. Diese enorme Beweglichkeit unseres Körpers erhält sich nicht vom Auf-dem-Stuhl-Sitzen, wo grad mal 90° in Hüfte und Knie zusammenkommen. Gut bewegliche Gelenke sind enorm wichtig um Gelenkeinsteifungen (Arthrose, etc) und Muskelverkürzungen entgegenzuwirken. Vor allem im Alter verringern sie das Sturzrisiko.


3. Einfluss auf andere Sportarten und Alltagsbewegungen


Wie bereits oben erwähnt fördert die Kniebeuge fundamentale Bewegung des menschlichen Lebens, wie Sitz->Stand Übergänge und Sachen anheben. Darüber hinaus findet sie sich in vielen Sportarten wieder. Je besser die Kniebeuge, desto besser die Ausführung dieser Alltagsbewegungen. Und je besser die Ausführung, desto weniger Unfälle (warum die Kniebeuge eine sichere Belastung für den Körper ist, beleuchten wir später noch). Angenommen Oma kann eine saubere Kniebeuge, kann sie sich gefahrlos nach dem heruntergefallenen Notizzettel bücken 😉


Grundlegend ist die Sache so: schwache Gelenke, Muskeln, Bänder, etc führen zu einer höheren Verletzungswahrscheinlichkeit, im Profi- wie im Laiensport. Die Kniebeuge mit ihrem Einfluss auf den ganzen Körper ist da natürlich ein einfaches und wirkungsvolles Mittel.



Im Sport führt die Kniebeuge zu einer Verbesserung der Explosivkraft, zum Beispiel beim Rennen und Springen. („The back squat strengthens the prime movers needed to support explosive athletic movements such as jumping, running, and lifting”, s. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4262933/)


4. Fettverbrennung


Die Kniebeuge verbrennt pro Minute rund 35 Kalorien. Im Vergleich dazu verliert man auf dem Laufband in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit pro Minute zwischen 5-9 Kalorien. Wir verbrennen also 3-6 Mal mehr Fett während der Kniebeuge, als in der gleichen Zeit Laufen. Und wer will nicht in möglichst kurzer Zeit viel Kalorien verbrennen, wenn es ums Abnehmen geht? (Vgl: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5524349/)


Das kommt unter anderem dadurch zu Stande, dass im Gegensatz zu Übungen die nur einen einzigen Muskel beanspruchen (Beinpresse, Leg extetsions, etc.), hier viele Muskeln gleichzeitig arbeiten. Diese ungeheure Kraftanstrengung (die allerdings nur dann benötigt wird, wenn genug Gewicht gestemmt wird!) zwingt den Körper zu einem erhöhten Stoffwechsel. Die erschöpfte Muskulatur will schließlich wieder aufgeladen und mit Energie versorgt werden. Zusätzlich werden verschiedene Wachstumshormone aktiviert (u.a. Testosteron), um künftigen Anforderungen besser gewachsen zu sein. In einer Studie, herausgegeben durch das Journal of Strength and Conditioning wurde unter den Partizpanten, welche Kniebeugen durchführten im Vergleich zu denen die am Beinstrecker trainierten ein 16% Testosteronanstieg nachgewiesen. (Vgl: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30531700/)


Testosteron ist verantwortlich für die Spermienbildung, es führt zu einer Zunahme der Muskelmasse, ist am Aufbau und Erhalt der Knochendichte beteiligt und beeinflusst im Gehirn positiv Stimmung, Vitalität und teilweise die Kognition


Klingt ja ganz gut, aber machen Kniebeuge nicht die Gelenke kaputt?




Grob gesagt: Alles was den Körper zu schnell zu stark belastet ist gefährlich. Eine langsame Steigerung von Gewicht und Trainingsumfang sorgt hingegen für eine Anpassung des Körpers. Die Muskeln werden stärker, die Sehen und: Die Gelenke.

Schauen wir uns dazu kurz ein bisschen die Biomechanik bei Durchführung von Kniebeugen an: Das folgende Schaubild von Aaron Swanson, publiziert auf Physionetwork zeigt wann, welche Belastung auf das Knie einwirkt.



Ja, die einwirkenden Kräfte auf die Menisken und das Patellafemoralgelenk nehmen mit der Tiefe der Kniebeuge zu, allerdings liegen bislang keine wissenschaftlichen Ergebnisse vor das gesunden Personen dadurch irgendwelche Schäden entstanden wären. (Personen mit Meniskusschäden oder Kniescheibenschmerz sollten vielleicht nicht ganz mit dem Po den Boden berühren, falls sie Schmerzen dabei haben- aber soviel kann man sich ja auch selber denken.) Dagegen nimmt zum Beispiel die Belastung des vorderen Kreuzbandes mit der Tiefe ab, Muskelaktivität von Oberschenkel und Gesäß wachsen.


Soll ich also möglichst tief kommen?


Ja, wenn das schmerzfrei möglich ist, unbedingt! Denn: Höhere Muskelaktivität und höhere Beweglichkeit!


Schauen wir uns dazu noch einen weiteren Mythos an. „Dürfen die Knie über die Füße oder nicht?“ Schauen wir dazu auf die Ergebnisse von Fry et al in ihrem Artikel: Effect of knee position on hip and knee torques during the barbell squat (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14636100/)


Es ist richtig, dass die Kniebelastung größer wird, wenn sich die Knie über die Füße schieben. Gleichzeitig sinkt dafür die Hüftbelastung. Diese wäre vergliechen mit der Kniebelastung um ein Vielfaches höher, wenn die Knie hinter den Zehenspitzen bleiben. Wie also auch bei der Frage wie tief die Kniebeuge ausgeführt werden sollte, muss auch hier gesagt werden: „Es kommt darauf an.“ Für Gesunde Personen ist es vollkommen egal, wie weit die Knie sich über die Fußspitzen schieben. Für Leute mit Knieproblemen kann es hingegen sinnvoll sein, wenn sie es nicht tun. Ende. Jeder ist unterschiedlich und jeder wird die Kniebeuge ein bisschen anders ausführen. Lange Menschen mit langen Oberschenkeln, werden sich weiter nach vorne beugen, der eine kommt tiefer, der andere steht ein bisschen breiter. Alles kein Problem. Auf ein paar Generelle Dinge würde ich trotzdem achten:


Die „richtige“ Ausführung


  1. Füße stehen schulterbreit, Fußspitzen leicht nach außen, Langhantel in den Rücken (Höhe Schulterblattoberkante) auflegen, schulterbreit greifen, Ellenbogen so weit wie möglich nach hinten schieben

  2. Bauchmuskulatur anspannen, leichtes Hohlkreuz halten, Rücken gerade, Brust raus

  3. Beine beugen, Gesäß schiebt nach hinten, Oberkörper neigt nach vorne. Knie stabil halten (Knie– und Fußspitzen zeigen in dieselbe Richtung, X/O-Beine vermeiden!)

  4. So tief gehen wie möglich, anschließend hochkommen bis die Knie fast ganz gestreckt sind (keine Überstreckung der Knie!)


Für ein Hypertrophie-Training (Muskelzuwachs), so oft wiederholen bis der Muskel erschöpft ist. Ich persönlich favorisiere die Methode des High Intensity Trainings und gehe bis zum Muskelversagen. Wichtig ist: zuerst sollte die Grundausführung passen. Also saubere tiefe Hocke ohne Gewicht. Anschließend langsam steigern und dem Körper (Gelenke, Knochen, etc.) Zeit zur Anpassung geben. Ein von „0 auf 100“ kann sonst zu Verletzungen/Überlastung des Körpers führen. Regeneration einhalten, nicht vergessen!


Variationen


  • Training mit dem eigenen Körpergewicht (Grundvoraussetzung!). Für die höhere Intensität kann für Einsteiger im Heimtraining z. Bsp mit einem Sandsack aus dem Baumarkt, einem beladenen Rucksack auf dem Rücken oder einer Kiste Wasser trainiert werden.

  • Jump Squats: Aus der tiefen Hocke in den Stand springen

  • Box Squats: ideal für Anfänger um die richtige Beugetiefe zu erreichen. Kniebeuge ausführen bis mit dem Gesäß eine hinter dem Athleten stehende Bank/Box erreicht wird (kein absitzen!)

  • Back Squats: Die „klassiche“ Kniebeuge mit dem Gewicht im Rücken, auf Höhe der Schulterblätter. Erhöhter Fokus auf die „Hintere Muskelkette“: Gluteus, Ischios, lumbaler Rückenstrecker.

  • Front Squat: Langhantel vor dem Körper, weniger Gewicht möglich. Erhöhter Fokus auf den vorderen Oberschenkel (Quadriceps) und Oberkörper.

  • Overhead Squat: Gewicht mit gestreckten Armen über dem Kopf haltend. Erhöhter Fokus auf Gleichgewichtsfähigkeit.

  • Bulgarian-Split-Squat: Die Hauptlast liegt auf einem Bein, intensives Training des Quadriceps.


Die puren Fakten für die Kurzleser, gibt es hier:


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