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Sturzprophylaxe bei Morbus Parkinson

Reaktiv- und Schnellkrafttraining bei Parkinson


Ich teile hier einen Artikel mit euch, den ich für den diesjährigen Parkinsontag geschrieben habe. Nachdem ich nun Schwerpunktmäßig neurologisch arbeite, wird dies auch gleichzeitig der erste Neuro-Beitrag in diesem Blog - juchu!

Im Folgenden geht es um das Thema Sturzprophylaxe bei Parkinson und wie das reaktive Gleichgewicht (also die Fähigkeit rechtzeitig einen Sturz abzufangen) verbessert werden kann. Entscheidend sind hierfür die Punkte Reaktionsvermögen und Schnelligkeit. Beide werden im Folgenden kurz aus Trainingstheoretischer Sichtweise beleuchtet, ich gebe einen kurzen Überblick über die wissenschaftliche Datenlage zum Thema Sturz und Stürzprävention bei Parkinson und stelle am Ende einige Ideen vor, wie ein Reaktiv- und Schnellkrafttraining für Menschen mit Parkinson gestaltet werden kann. Viel Spaß!



Wissenschaftliche Hintergründe

  • Bis zu 70 % der Menschen mit Parkinson-Krankheit stürzen jährlich, und bis zu 13 % stürzen wöchentlich. Sturzbedingten Verletzungen sind doppelt so häufig wie in der allgemeinen älteren Bevölkerung (Randel Swanson et al, 3.)

  • Die einfache Reaktionszeit verlängert sich bei Parkinson-Patienten mit zunehmender Schwere der motorischen Störung (Yanagisawa et al, 1.)

  • Haltungsinstabilität und Stürze sind komplexe und behindernde Merkmale der Parkinson-Krankheit und sprechen nur schlecht auf Anti-Parkinson-Medikamente an (Xia Shen et al, 2.)

  • „In fortgeschrittenem Alter von einem Stuhl aufzustehen erfordert vor allem Schnellkraft. Studie zeigt, dass Menschen mit einer hohen Schnellkraft eher länger leben (Ärzte Zeitung, Alice Lanzke, 4.)

  • Untersucht man den Zusammenhang zwischen Training und der Prävention von Stürzen bei M. Parkinson, dann ergibt sich ein positives Bild (Sherrington et al. 2017). Die besten Outcomes ergeben wahrscheinlich eine Kombination aus traditionellem Krafttraining & Ballistischem Training (Gavin Williams; Leanne Hassett et al 2019).

  • Training, dass in der On-Phase durchgeführt wird, ist effektiver (Randel Swanson et al., 5.)

Kurzum: Menschen mit Parkinson stürzen recht häufig, sie haben eine verlängerter Reaktionszeit und Schnellkraft verlängert die Lebenserwartung.


Trainingstheoretische Hintergründe


Typisch für Menschen mit Parkinson ist die verlangsamte Bewegung (Hypokinese) und verlängerte Reaktionszeit


Schnellkraft = Möglichst hoher Kraftstoß in möglichst kurzer Zeit

Gute Schnellkraftfähigkeit resultiert in …

  • Verbesserter Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskulatur und vermehrter Bildung von Fast-Twitch-Fasern -> Schnellere muskuläre Ansprechbarkeit

  • Verbesserte Elastizität von Sehnen und Muskeln -> Bessere Beweglichkeit, Mobilität

  • Erhöhter Muskelquerschnitt

  • Bildung von Zeitprogrammen -> Bewegungsvorplanung, Vorinnervation

=> Eine Verbesserung dieser Eigenschaften ist für die Verhinderung von Gangunsicherheit und Sturzgefahr entscheidend UND schützt darüber hinaus die passiven Strukturen (Sehnen, Bänder) im Falle eines Sturzes.


Klassische Schnellkraftübungen wie das olympische Reißen führen zu Muskelwachstum, schnellerem Reagieren der Muskeln und besserer Beweglichkeit.


Reaktivkraft/Plyometrie = schnell nacheinander ablaufende, nachgebende (exzentrische) und anschließend überwindende (konzentrische) Arbeitsweise der Muskulatur

  • Speicherung und Freigabe von Energie in Muskulatur und Sehne (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus) -> Reflexaktivierung, höhere Kraftentwicklung

  • Bewegungsabläufe werden schneller als typisch/notwendig trainiert

Empfohlene Trainingsparameter: Mehrere Sätze, 2-3x/Woche über mind 16 Wochen mit 40-70%iger Intensität.



Plyometrische Übungen wie Springen bereiten den Körper auf schnelle reflexgesteuerte Reaktionen vor.


Trainingsmöglichkeiten in der Gruppe


Frühe Phase (Hoehn & Yahr 1-2):

  • Gruppenspiele wie Völkerball, Volleyball

Mittlere Phase (Hoehn & Yahr 2-4):

  • Gruppenspiele wie Ball über die Schnur


Trainingsmöglichkeiten zu Zweit


Frühe Phase:

  • Alle Sportarten die ein hohes Maß an Reaktion und Schnelligkeiten erfordern, hier insbesondere Kampfsportarten (Boxen, Karate, Judo) und Ballsportarten (Tischtennis, Tennis, Badminton)

Mittlere Phase:

  • Anlehnen und Loslassen o. Schubstraining nach Höbges

  • Pratzentraining, Abklatschen

  • Dem Gegenüber folgen (Spiegelbild sein)

  • Werfen und Fangen


Sportarten die viel Reaktionsvermögen fordern, bieten fitten Parkinsonpatienten eine ausgezeichnete Gelegenheit ihre Reaktivkraft zu fördern. Stärker betroffenen können mit Pratzen trainieren oder einfach die Hand ihres Gegenüber abklatschen. Natürlich so schnell wie möglich.


Trainingsmöglichkeiten Allein


Frühe Phase:

  • Schnellkrafttraining mit freien Gewichten: Olympisches Reißen, Olympisches Umsetzen

  • Schnellkrafttraining mit dem eigenen Körpergewicht: Kastensprünge, Counter Movement Jump, Strecksprünge, Wechselsprünge

  • Reaktivkraft am Seilzug oder mit Sprüngen: Bewegung alle 6-8 sek ausführen

  • Seilspringen

  • Training mit der Koordinationsleiter

  • Balancieren, Schwebebalken, Slackline, etc.

  • Reaktionen auf Kommando, z. Bsp. Farben schlagen

  • Training mit Reaktionsbällen, z.Bsp. Zen Core


Wer fit ist springt! Weiterhin bieten sich klassische Übungen aus dem Schnellkrafttraining an, wie das olympische Reißen (Snatch) oder Umsetzen (Clean).


Mittlere Phase

  • Schnellkrafttraining mit freien Gewichten Medizinballstoßen (vor, zu Boden, nach oben), Schieben

  • Schnellkrafttraining mit dem eigenen Körpergewicht, ggfs mit Halt am Geländer: Vertikale Sprünge, Skipping (schnelles auf der Stelle laufen), Seitliche Skippings, Schnelle Kniebeugen, von den Zehenspitzen in die Knie

  • Training an der Koordinationsleiter o. schnelle Schritte vor und zurück über Markierung am Boden

  • Reaktivkraft am Seilzug oder mit Sprüngen: Bewegung alle 6-8 sek ausführen

  • Tandemstand- o. Semitandemstand

  • Reaktion auf Kommando, z.Bsp. Schrittvariationen (Kommandos auf dem Handy aufnehmen und als Playlist mit zufälliger Wiedergabe abspielen: z.Bsp „Schritt vor“, „Drehen“, „Sitzen“,…)

  • Schnelles Aufstehen und Hinsetzen


Stärker Betroffene können sich beispielsweise am Stoßen von Medizinbällen versuchen - wer nicht mehr sicher stehen kann, macht das sitzend. Auch schnelles Aufstehen und Hinsetzen, Schnelle Schritte auf der Stelle und leichte Sprünge mit Halt am Geländer sind möglich.


Zum Schluss hier noch ein paar You-Tube-Links zur Inspiration:

Ganz allgemein gilt:

Jede Art von Bewegung hilft das Leben zu verlängern! 😊 Der Schlüssel zum erfolgreichen Umgang mit Parkinson liegt im aktiven Lebensstil – körperlich und geistig. Macht das, woran ihr Spaß habt. Und vor allem: Bleibt dran! Denn: "Hochintensive Übungen und Langzeittherapien werden mit einem größeren Nutzen in Verbindung gebracht als niedrigintensive und mittel oder kurzfristige Therapien." (Kim et al. 1996, Suchowersky et al. 2006)


Hier gibt es wie gewohnt eine Zusammenfassung als PDF. Ich habe mich bemüht sie leicht verständlich und knapp zu fassen ;)





Literaturnachweis:



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