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Rückenschmerzakte - Teil II: Die Sache mit der Bandscheibe

Im 2. Teil der Rückenschmerzakte kommen zunächst anatomische Fakten über die Stabilität der Bandscheiben auf den Tisch (und die sind ziemlich belastbar), bevor wir einen Blick darauf werfen wann und wie Bandscheiben eigentlich Rückenschmerzen verursachen können.



Anatomie der Bandscheibe

Die insgesamt 23 Bandscheiben des menschlichen Körpers verbinden jeweils zwei Wirbelkörper an deren knorpeligen Deckplatten und der knöchernen Randleiste sie verwachsen sind. Es handelt sich also um eine Knorpelgewebige Verbindung, ähnlich der Symphyse welche die beiden Schambeine miteinander verbindet oder der knorpeligen Verbindung zwischen Schlüssel- und Brustbein. All diese Verbindungen sind EXTREM stark und widerstehen tagtäglich einer enormen Belastung ohne kaputtzugehen. (Oder hast du dir schonmal Gedanken gemacht, dass da ein Knorpel zwischen den Schambeinen rausflutschen könnte wenn du zu große Schritte machst?)

Weiterhin wirkt die Bandscheibe als “Stoßdämpfer”, in dem sie den Druck gleichmäßig auf die benachbarten Wirbelkörperdeckplatten verteilt.



Nucleus Pulposus (Innerer Gallertkern): wirkt als „Wasserkissen“ zwischen zwei benachbarten Wirbelkörpern.

è Besteht zu 80-85% aus Wasser: Bei Entlastung (z. Bsp im Liegen) saugt er sich mit Wasser voll, unter Belastung (z.Bsp. bei längerem Stehen, Sitzen) wird Wasser herausgepresst. Die Höhe der Bandscheibe nimmt ab. Im Alter sinkt das Wasserbindungsvermögen i.d.R. ab

Anulus Fibrosus (Äußerer Faserring): man unterscheidet eine Außen- und eine lnnenzone.

Die äußere Zone besteht aus einer zugfesten bindegewebigen Hülle, deren Fasern sich aufgrund unterschiedlicher Steigungswinkel überkreuzen und die Randleisten zweier benachbarter Wirbel miteinander verbindet. Am Übergang zur lnnenzone geht das straffe Bindegewebe der Außenzone ohne scharfe Grenze in ein faserknorpeliges Gewebe über, dessen Kollagenfasern in die hyalinknorpeligen Deckplatten der Wirbelkörper einstrahlen. Als solche Verankerungsstelle der Bandscheibenfasern, dienen die Endplatten dazu, die Scheiben an Ort und Stelle zu halten und die aufgebrachten Lasten gleichmäßig zu verteilen. Weiterhin findet die Flüssigkeits- und Nährstoffaufnahne der Bandscheibe über ein sog. Subchondrales Gefäßnetz an dieser knöchern-knorpelige Verbindungsstelle statt.

Die Knöcherne und Hyalinknorpelige Deckplatte ist so stark mit den Anulusfasern verwachsen, dass es der Bandscheibe UNMÖGLICH ist, einfach auf einer Seite rauszuflutschen. Nochmal: Eine Bandscheibe kann auf Grund ihrer Verwachsung mit den Wirbelkörpern nicht einfach rausrutschen! Nicht nach hinten und nicht zur Seite!

Untersuchungen an menschlichen Bandscheiben haben gezeigt, dass es über 335 kg (=740 lbs) braucht, um eine jugendliche Bandscheibe um 1mm zu komprimieren. Bei Älteren sind es immer noch rund 208 kg (=460lbs). Die Dicke von Bandscheiben liegt zwischen 5 und 9 mm. (s. Biomechanical properties of human thoracic spine disc segments https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2944859/#CIT16). Bandscheiben sind also wirklich ziemlich widerstandsfähig. Seien wir also kritisch mit Äußerungen, wie: “Das solltest du nicht heben, denk an deine Bandscheibe “ oder „Ich kann das nicht machen, meine Bandscheibe verrutscht.“

Im Gegenteil: Bewegungen und Belastung der Bandscheiben sind wichtig. Nur durch regelmäßige Be- und Entlastung findet ein optimaler Wasser- und Nährstoffaustausch in der Bandscheibe statt. Egal welches Gewebe, ob Knochen, Muskel oder Knorpel, bzw. Bandscheibe: der Körper folgt immer den Bedürfnissen. Wer sich nicht bewegt, nur sitzt oder liegt, dessen Bandscheiben brauchen keine Stöße mehr abzufangen, folglich kein Wasser mehr einzulagern und auch keine Dicke von 5-9mm. Höhenabnahme von Bandscheiben macht Schmerz, ja – weil andere Strukturen wie die Wirbelgelenke jetzt mehr Druck erfahren oder umliegende Bänder weniger auf Zug kommen und Wirbelsäulensegmente in der Folge hypermobil werden. Aber einfach zur Seite springen wird keine Bandscheibe. Ich verweise hier noch einmal auf Teil 1 der Rückenschmerzakte, wo bereits erklärt wurde dass Bandscheiben, welche über die knöchernen Wirbelkörper hin ausquellen nicht automatisch schmerzverursachend sind.

Wohl können Fasern einreißen – auch das kann Schmerz verursachen, nämlich dann wenn Gewebe auf Blut- oder Nervengefäße drückt - Aber wie in jedem organischen Gewebe, finden auch in der Bandscheibe Heilungsprozesse statt. Nach Chiu et al. liegt die Sponatnheilung bei 41% für Bandscheibenvorwölbung und 13% beim Bandscheibenvorfall. (s. The probability of spontaneous regression of lumbar herniated disc: a systematic review, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25009200/). Einrisse werden vor allem durch Scheerkräfte provoziert, also Bewegungen von zwei Wirbelkörpern in gegensätzliche Richtungen. Begünstigt wird das durch Hypomobile Wirbelsegmente, entweder durch die Höhenabnahme der Bandscheibe oder schwache Rückenmuskulatur (mehr zum Thema Rückenmuskulatur folgt in Kapitel 3)

Definition des discogenen Lumbalsyndroms (ICD 10: M47.26)

= lokaler lumbaler Kreuzschmerz (mit möglicher pseudoradikulärer Ausstrahlung), welcher durch eine Degeneration/ Veränderung der Bandscheibe eines oder mehrerer Bewegungssegmente ausgelöst wird.


-> Bei Starker Degeneration (also Höhenabnahme der Bandscheibe) bauen die Wirbelkörper Knochenmaterial an, um weiterhin der axialen Belastung Stand halten zu können. Sog. Osteochondrose


Zunehmendes Alter und Übergewicht, genetische Faktoren, sowie mechanisch „unphysiologische“ Belastungen vor allem bei insuffizienter Rumpfmuskulatur können das Auftreten der Degeneration beschleunigen. (Vgl: S2k-Leitlinie, Spezifischer Kreuzschmerz, AWMF Registernummer: 033-051)


Symptome: belastungsabhängige Kreuzschmerzen, evtl mit pseudoradikulärer Ausstrahlung (heißt, der Schmerz wird wo anders wahrgenommen. Es lieg dabei keine Schädigung des Spinalnerven vor)


Die Leitlinie empfiehlt ein MRT. CT und lumbale Discographie sollten nicht durchgeführt werden.


Und was ist jetzt mit dem Bandscheibenvorfall? Die springen doch raus die Bandscheiben!?

Der Bandscheibenvorfall ist eine Folge übermäßig vieler Einrisse im Anulusring. Unter Belastung drückt der Nucleus vermehrt durch die Risstelle nach außen und damit auf Nervengefäße. Ein behandlungsbedürftiger Bandscheibenvorfall zeigt sich immer durch neurologische Symptome: Muskelschwäche, Taubheit oder ausstrahlenden Schmerz in die Extremitäten. Ich erinner hier nochmal an die Ergebnisse von Jansen et. al: „Lumbale Bandscheibenvorfälle bei Gesunden finden sich kernspintomografisch bei 20–30 % der unter 60 Jahre alten Probanden und bei > 60 % der über 60 Jahre alten Menschen". Das heißt nicht, dass diese auch symptomatisch sind!!


Der Rücken kann das: auf an die Gewichte, auf zum Joggen und Springen!! Eine gesunde, funktionstüchtige Bandscheibe braucht regelmäßige Be- und Entlastung!

PS: Auch in der deutschen AWMF Leitlinie zur Behandlung nach Bandscheibenvorfall wurde festgestellt: „In der Rehabilitation nach Bandscheibenoperationen zeigt ein Cochrane Review von Ostelo et al. in der Zusammenfassung, dass Bewegungstherapie, die 4 - 6 Wochen nach der Operation beginnt, schneller zur Reduzierung von Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung führt als keine Behandlung. Darüber hinaus scheinen Bewegungsprogramme hoher Intensität schneller zur Reduktion von Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung zu führen als Programme geringer Intensität.“ Starken Konsens erhielt auch die Empfehlung: „Langfristige Schonung soll vermieden werden"


Eine Kurzübersicht zum Ausdruck finden Sie hier:


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