Migräne
- corylusmed
- 12. Nov. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Nov. 2020
= wiederkehrende Kopfschmerzattacken von 4-72 Std Dauer, mittlerer bis starker Schmerzintensität und pulsierendem Schmerzcharakter. Überwiegend einseitig (meist Schläfenregion), i.d.R kommen Übelkeit und gesteigerte Empfindsamkeit auf Licht od. Lärm hinzu. Migräne kann mit und ohne Aura (=Vorahnung) auftreten. Klassifikation nach ICD-10: G43

Migräne ist seit über 5000 Jahren bekannt. Spekulationen über die erste Migränebehandlung lassen vermuten, dass bereits in der Mittelsteinzeit operative Schädelöffnungen unternommen wurden, um böse Geister aus dem Kopf entweichen zu lassen. Laut archäologischen Funden haben das sogar die Hälfte der Kandidaten überlebt. Die folgenden Empfehlungen und Erklärungsmodelle zur Migräneentstehung und - behandlung werden wohl etwas unspektakulärer.
Mögliche Ursachen der Migräneentstehung
Die genaue Ursache der Migräne ist bislang nicht geklärt, aktuell stehen verschiedene Isolierungsmodelle nebeneinander. Es wird vermutet, dass es nicht DIE eine Ursache gibt, sondern Migräne aus einem Zusammentreffen verschiedener Ursachen entsteht. Eine früher weit verbreitete Behauptung über „Migränepersönlichkeiten“ wie die der hysterischen Frau ist mittlerweile überholt. Im Folgenden werden die gängigsten Hypothesen kurz dargestellt:
1. Genetik
Goadsby et al fand bei Patienten mit dem Subtyp "familiär hemiplegische Migräne" Gendefekte auf den Chromosomen 19 und 1 .Der Defekt auf Chromosom 19 bewirkt eine Störung von Kalziumionenkanälen im Hirn, welche über Serotonin den Hirnblutdruck regeln. Es wird vermutetet, dass es sich nicht nur bei dem oben beschriebenen Subtyp, sondern auch bei „gewöhnlicher“ Migräne um Ionenkanalerkrankungen handeln könnte.
2. Modell der "neurogenen Entzündung" (Moskowitz, 1992)
Durch bestimmte Auslöser wie Alkohol, Medikamente, bestimmte Lebensmittel oder Gerüche, Stress, Hormone oder Koffeinentzug kommt es zu Entzündungsreaktion von Hirngefäßen. Sie kommt durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (z. B. Substanz P, Serotonin, Histamin) und gefäßaktiven Substanzen (z. B. "calcitonin gene related peptide", CGRP)
3. Modell der kortikalen Hyperaktivität
Selbststimmulation des Hirns als Reaktion auf niedrige Energiereserven
4. Diathese-Stress Modell (Psychologischer Ansatz)
Dysfunktionale Verarbeitung von Situationen durch übermäßige Orientierung an äußeren Reizen (Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse/Empfindungen), welche zu körperlichen und geistigen Stressreaktionen führen, die den Weg zur Migräneattacke ebnen.
Warum wird da immer irgendwas mit Serotonin geredet?
OK, kurzer Einschub. Vor und während einer Migräneattacke können Schwankungen des Serotoninspiegels beobachtet werden. Ein niedriger Serotoninspiegel in den betreffenden Gehirnarealen wird dabei mit einer Ausbreitung sogenannter trigeminovaskulärer Schmerzreize als Ursache der Migräne in Verbindung gebracht. Serotonin wird aus dem Protein Tryptophanen im Hirn gebildet und beeinflusst dort Wahrnehmung, Schlafs, Schmerzempfindung und Schmerzverarbeitung, Appetit und Sexualverhalten. Daneben kommt es auch im Blut und dem Nervensystem des Darms vor.
Das "Glückshormon Serotonin" bewirkt ein Gefühl der Gelassenheit, inneren Ruhe und Zufriedenheit. Es sorgt für eine Dämpfung von Angst, Aggressivität, Kummer und Hunger. Niedrige Serotoninspiegel führen zu einer erhöhten Impulsivität und Aggressivität.
Kohlenhydrat- und zugleich eiweißreiche Kost führt über eine Ausschüttung von Insulin zu einer Steigerung der Tryptophanaufnahme (Baustoff für Serotonin) ins Gehirn, welche mit einer gesteigerten Serotoninsynthese assoziiert wird.
Moment, der letzte Punkt klang spannend. Heißt dass ich könnte über meine Ernährung beeinflussen wie viel Serotonin in meinem Kopf ankommt?
Zunächst mal sei gesagt: Serotonin im Blut ist nicht gleich Serotonin im Kopf. Serotonin aus der Nahrung kann nämlich nicht einfach ins Hirn, weil eine sogenannte Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass Blutbestandteile einfach so ins Hirn purzeln. Das schaffen nur Zucker und gewisse Aminosäuren, wie zum Beispiel das Tryptophan, aus dem im Hirn eigenes Serotonin hergestellt wird.
Die Aminosäure L-Tryptophan ist im Grunde in jedem proteinhaltigen Lebensmittel vorhanden. Im Vergleich zu all den anderen Aminosäuren aber in sehr viel geringerer Menge. Und an diesem Punkt kommt die Sache mit „Kohlenhydrat und eiweißreich gelcihzeitig Essen“ ins Spiel. Der Verzehr von Kohlenhydratreichen Lebensmitteln (Nudeln, Brot, etc) führt zu einem Insulinausstoss der die Zucker (Kohlenhydrahte bestehen aus Zuckern). Insulin transportiert nicht nur die Zucker aus den Kohlenhydraten durch die Gegend sondern auch die Proteine in die Muskulatur. Damit wird an der Blut-Hirn-Schranke Platz für das übriggebliebene Tryptophan. Schwupp Tryptophan rein und Serotinproduktion startet.
Ist das jetzt der geheime Zaubertrick, um die Migräne loszuwerden? Wohl eher nicht. Dazu fehlt es immer noch an genauen Erkenntnissen was Serotonin genau im Kopf anrichtet. Es ist allerdings einen Versuch wert, wenn die für Serotoninmangel typischen Symptome (anhaltende Müdigkeit, Aggression, Depression, Angst, Heißhungerattacken, etc.).
Wichtig: Auch Probleme mit dem Blutzuckerspiegel (Blutzuckerschwankungen, Diabetes, etc.) können den Serotoninspiegel senken.
Jetzt aber zurück zur Migräne:
Therapie:

„Die medikamentöse Therapie soll durch nicht medikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie (z.B. Entspannungsverfahren) ergänzt werden“
Die im Folgenden aufgelisteten Punkte zur Medikamentösen und Nicht-Medikamentösen Therapie von Migräne sind der aktuellen Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ entnommen. Die Langfassung lässt sich hier einsehen: https://dgn.org/wp-content/uploads/2012/11/030057_LL_Migra%CC%88ne_2018_Erg%C3%A4nzung_2019.pdf
Medikamentöse Therapie
Analgetika wie Acetylsalicylsäure und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) sind bei der Behandlung der Migräne wirksam. Leichtere und mittelstarke Migräneattacken sollten zunächst mit diesen Substanzen behandelt werden. Sie wirken auch bei einem Teil der Patienten mit schweren Migräneattacken.
Die 5-HT1B/1D-Agonisten (sog. Triptane) Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken und sollten bei starken Kopfschmerzen und bei Migräneattacken, die nicht auf Analgetika oder NSAR ansprechen, eingesetzt werden.
Sumatriptan subkutan ist die wirksamste Therapie akuter Migräneattacken. Eletriptan und Rizatriptan sind nach den Ergebnissen von Meta-Analysen die wirksamsten oralen Triptane
Die Schwelle für die Entstehung von Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz nach ICHD-3 liegt für Triptane bei ≥ 10 Einnahmetagen/Monat über mindestens 3 Monate!!
Nicht medikamentöse Therapie
Kopfschmerztagebuch zur Überwachung von Medikamenteneinnahme und Auslöserbestimmung; eine gute Vorlage finden Sie z. Bsp hier: .https://www.alles-ueber-migraene.de/wp-content/uploads/2017/06/migraenekalender.pdf
Regelmäßiger aerober Ausdauersport (Joggen, Walking) kann nach den vorliegenden Daten empfohlen werden. Mind. 2* 1 Std./Woche
Entspannungsverfahren: hier hat sich vor allem die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen in ihrer Langform bewährt, da sie leichter zu erlernen ist als Mediatation oder Autogenes Training. Entspannungsverfahren erreichen im Durchschnitt eine Reduktion der Migränehäufigkeit von 35-45% und liegen damit gleich wie das Mediakament Propranolol
Biofeedbacktherapie: Sie weist in der Prophylaxe der Migräne eine hohe Effektivität auf und kann als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe eingesetzt werden. Zur Behandlung der akuten Attacke eignet sich das Vasokonstriktionstraining.
kognitive Verhaltenstherapie: Ziel ist die Vermittlung von Strategien zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit und der Kontrollüberzeugungen des Patienten
Anregung zur nichtmedikamentösen Stufentherapie bei Migräne
Die nächste Stufe wird erst beschritten, wenn die vorherige ohne weitere Besserung bleiben.
Stufe 1: Steigerung der körperlichen und psychischen Selbstzentrierung – Sport u. Entspannung
Ausdauersport, mind. 2* 1 Std/Wo
Entspannungsverfahren, z.Bsp Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Autogenes Training, Meditation
Stufe 2: Harmonisierung des Alltagsablaufes
Insbesondere wenn kein eindeutiger Auslöser gefunden werden kann
Klare Tagesstruktur (feste Essenszeiten, feste Schlafenszeiten, etc.)
Ggfs „Puffer“ setzen zwischen wechselnden Reizzuständen (Übergänge zwischen Arbeits- und Ruhephasen durch Rituale einleiten)
Stufe 3: Ausgewogene Kräfteökonomie
V.a. bei Migränepatienten die viel Energie in Aktivität und Engagement stecken und wenig Zeit für sich selbst lassen
Analyse des IST- Zustandes: Wo wird psychische und körperliche Energie aufgewendet?
Analyse des gewünschten „Energie-SOLL-Zustandes“: Wo möchte ich Energie aufwenden, wo brauche ich Energie für mich?
Experimentelle Verhaltenserprobung zur Veränderung des IST Zustandes Richtung SOLL
Eine Übersicht zum Download finden Sie hier:
Quellen:
Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, Leitlinien für Diagnostik und
Therapie in der Neurologie, AWMF-Registernummer: 030/057; s. https://dgn.org/wp-content/uploads/2012/11/030057_LL_Migra%CC%88ne_2018_Erg%C3%A4nzung_2019.pdf
Psychologische Schmerztherapie; Basler, Franz, Kröner Herwig, Rehfisch, 5. Auflage, Springer Verlag
https://www.zentrum-der-gesundheit.de/artikel/depressionen-burnout/serotoninspiegel-natuerlich-erhoehen-ia
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